Sonntag, 13. Dezember 2009

Gedanken zur Osteopathie


Der Erfolg immer neuer Technologien in Diagnose und Therapie droht die Kunst diagnostischer und therapeutischer Berührung mehr und mehr zu verdrängen. Doch bildet gerade diese seit je die Basis ärztlichen Handelns. Jede Mutter weiß von der tröstenden und heilsamen Wirkung Ihrer Hände für das leidende Kind und viele Großmütter haben durch sanfte Berührung, Pflege und Bestärkung Frühgeborenen zu einem gesunden Leben verholfen. Die Lehrerin dieser Mütter und Großmütter war Intuition und Liebe. Möge diese intuitive Dimension niemals den Ärzten und Therapeuten verloren gehen!

A. T.Still gab seine schulmedizinische Praxis auf, nachdem drei Mitglieder seiner Familie an Hirnhautentzündung starben wiewohl sie die beste medizinische Versorgung erhielten welche verfügbar war. Zuvor schon fand er sich hilflos gegenüber der Krankheiten und Verletzungen die der Bürgerkrieg über die Menschen brachte.

Aber Still fühlte, daß die Natur, wenn sie solche Leiden hervor brächte, sie zugleich auch Antworten offenbaren würde. So begann seine Suche. Ein ausführliches Studium der menschlichen Anatomie leitete ihn zu der Erkenntnis das Struktur bestimmend für die Funktion sei und das eine effiziente, gesunde Funktion auf präzise integrierten Strukturen beruht. Mehr noch: der Mensch ist eine Einheit, eine dynamische Einheit der Funktion. Folglich sind Leben und Materie eine Einheit aber diese Einheit kann nur bestehen wenn es keine Einschränkungen ungehinderter und harmonischer Bewegung gibt. Somit ist Bewegung die fundamentale Funktion des lebendigen Körpers. Daraus ergibt sich die Folgerung das Krankheiten lediglich Folgen von Bewegungsverlusten sind.

Bewegung ist das Maß zwischen Gesundheit und Fehlfunktion, zwischen Vitalität und Erschöpfung, zwischen Freude und Verzweiflungen letztlich zwischen Leben und Tod. Ihr Maß und Ihre Qualität beinhaltet einen verläßlichen Zugang zur Beurteilung der Vitalität d.h. zur Ganzheit des Patienten. Nur Berührung erlaubt eine wahrhaftige „Wahr”-nehung dieser vitalen Bewegung.

Bei aller scheinbarer Objektivität welche die heutige Medizintechnologie dem Arzt und Therapeuten zur Verfügung stellt bleibt es doch letztlich die Wahrnehmung von Mensch zu Mensch welche die Qualität des therapeutischen Prozesses bestimmt.

Gleich wie Dr. Still durch ein Innehalten und grundsätzliches Überdenken seiner ärztlichen Praxis sich den Weg zu einer Neuausrichtung seiner Tätigkeit eröffnete, so können wir dies durch ein Für-Wahr-Nehmen der therapeutischen Berührung tun. In diesem Moment der Wahrnehmung kann in jedem therapeutischen Prozess ein Innehalten entstehen welche für Therapeut und Patient zum Moment einer Neuausrichtung wird.

Ich verstehe den Heilberuf gerne als Kunst der Berührung. Berühren und sich berühren lassen werden so zu einer Basis echter Heilkunst. In der Osteopathie war dies immer ein Grundstein des ärztlichen und therapeutischen Suchens. Ich wünsche mir das uns dieses Fundament niemals verloren gehen möge so sehr auch die Neigung zunimmt Osteopathie als eine rein mechanisch-manuelle Verrichtung am Patienten anzusehen.

“Entwickelt diese „denkenden, fühlenden, sehenden, wissenden Finger und macht Euch daran zu berühren” (W.G.Sutherland)